Jahrestagung 2018: Istanbul-Konvention

Am 24. März 2018 fand im Kirchgemeindehaus Paulus Bern die Jahrestagung 2018 der NGO-Koordination post Beijing Schweiz zur Istanbul-Konvention, der Europaratskonvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, statt. 

Inputreferate 

Der erste Input erfolgte durch Françoise Brié, Mitglied von GREVIO (Expertinnen-Komitee des Europarats). Nach einer kurzen Einführung zum Europarat, zu GREVIO und der historischen Entwicklung, wie es zur Istanbul-Konvention kam, betonte Frau Brié, dass die Konvention ein wichtiges ergänzendes Instrument sei, um CEDAW zu stärken. Die Istanbul-Konvention kann seit 2011 ratifiziert werden und dies auch von nicht europäischen Staaten. Bisher haben 28 Länder die Konvention unterzeichnet, viele aber noch ohne sie zu ratifizieren. Frau Brié stellte die Frage in den Raum, ob die Konvention bspw. auch für Männer und Kinder anwendbar sei und sagte dazu, dass sich Expert*innen bisher vorwiegend um das Thema «Gewalt gegen Frauen» kümmerten. Betreffend der Gewalttaten deckt die Istanbul-Konvention ein breites Spektrum ab, von Mobbing, über Zwangsabtreibung bis hin zu FGM/C. Zentral für die Istanbul-Konvention ist die Opferperspektive. Die Staaten werden dazu aufgerufen, ihren Verpflichtungen gegenüber den Opfern solcher Straftaten angemessen nach-zukommen und die wesentlichen Mittel zur Verfügung zu stellen. In Bezug auf den Text der Istanbul-Konvention betonte Frau Brié die Wichtigkeit der Präambel, welche nochmals die Frage der Gleichstellung unterstreiche, die das Herz der Konvention sei. Das sei auch GREVIO sehr wichtig, sprich, die fehlende Gleichstellung und Ge-walt gegen Frauen in einen Zusammenhang zu stellen. Ebenso wies sie darauf hin, dass die Konvention jeweils im Zusammenhang mit dem «Explanatory Report» zu lesen sei. Nach einem ausführlichen Überblick über den Text und die verschiedenen Kapitel sprach Frau Brié zur Funktionsweise von GREVIO und dessen Beurteilungs-mechanismus. Hier unterstrich sie die Rolle der NGOs und betonte, wie wichtig die Einreichung deren Berichte sei, wenn die Beurteilung eines Staates anstehen würde. Die NGOs könnten sich auch zusammen schliessen und gemeinsam einen Bericht einreichen. Bei Bedarf sei die Einreichung sogar anonym möglich. 

Das zweite Inputreferat erfolgte durch Ursula Thomet, Stellvertreterin der Direktorin des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG) und Leiterin des Fachbereichs gegen Häusliche Gewalt. Sie referierte zur Umset-zung der Istanbul-Konvention auf Ebene des Bundes. Der Bund ist der völkerrechtli-che Vertragspartner und hat den Fachbereich für häusliche Gewalt als offizielle Stelle für die Umsetzung der Konvention als zuständig erklärt. Das EBG setzt die Konventi-on mit einer interdepartementalen Arbeitsgruppe um, im März gab es dazu ein erstes Treffen. Momentan erarbeitet das EBG eine Roadmap zur Umsetzung, welche im November 2018 an der Nationalen Konferenz des EBG zur Istanbul-Konvention prä-sentiert werden soll. Ebenso wird ein Umsetzungskonzept erarbeitet, welches der Zusammenarbeit von Bund und Kantonen als Grundlage dienen wird. Frau Thomet betonte mehrmals, dass der Bund in rechtsetzender und koordinierender Weise zu-ständig ist und die gesetzlichen Rahmenbedingungen schafft. Für die Umsetzung sind mehrheitlich die Kantone zuständig, weshalb sie auch empfiehlt, zukünftig die zuständigen kantonalen Stellen bei solchen Anlässen beizuziehen. Da die Schweiz ein föderalistischer Staat ist, erfolgt die Umsetzung von internationalen Konventionen basierend auf Kooperation und Koordination, sprich mit Verhandlungen als Grundla-ge. Als erste, wichtige Herausforderungen sieht Frau Thomet die Sicherstellung einer integralen Politik, weil die Zuständigkeiten in einem föderalen Staat so zersplittert sind, um allen Opfern in der Schweiz, unabhängig von ihrem Aufenthaltsort den an-gemessenen Schutz bieten zu können. Ebenso verweist sie auf die Wichtigkeit eines pragmatischen, wirkungsorientierten Weiterentwickelns des Bestehenden bei einem knappen zeitlichen und finanziellen Budget. 

Blitzlichter aus der Zivilgesellschaft

Die Dachorganisation der Frauenhäuser (DAO) wurde von Marlies Haller reprä-sentiert. Sie betonte, dass die Frauenhäuser auch viele Kinder betreuten und die Dunkelziffer im Bereich häusliche Gewalt nach wie vor erschreckend hoch sei. Umso mehr begrüsst die DAO die Ratifikation der Istanbul-Konvention. Die DAO fordert, in allen Belangen der Umsetzung einbezogen zu werden, da die Mitglieder über umfas-sendes Wissen und Erfahrungen im Bereich Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt verfügen. Als weitere Forderung nannte Frau Haller eine gesamtschweizeri-sche Strategie und verbindliche, interkantonale Schutzmassnahmen. 

Von der Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration (FIZ) sprach Serena Dankwa und verwendete zur Illustration eine Fallgeschichte einer 19-jährigen Mig-rantin, die in der Schweiz unter schlechten Arbeitsbedingungen ausgebeutet wird. Wirtschaftliche Gewalt ist in unserer Gesellschaft nach wie vor kaum ein Thema, ob-wohl es eine Form von Gewalt ist, die viele Frauen erfahren. Dies ist insbesondere problematisch, weil viele Fälle nicht als Menschenhandel qualifiziert werden können und deshalb die juristischen Konsequenzen unangemessen sind. Die Fachstelle FIZ spricht sich deshalb insbesondere für bessere Migrations- und Arbeitsmöglichkeiten aus, sowohl für Sexarbeiter*innen, wie auch sonstige Arbeiter*innen, die niedrig qua-lifizierte Arbeiten verrichten und erhofft sich positive Veränderungen durch die Um-setzung der Istanbul-Konvention. 

Chloé Maire sprach aus der Perspektive von Fraternité du Centre Social Protes-tant Vaud und der Arbeitsgruppe „Femmes migrantes & violences conjugales“. Aus ihrer Perspektive ist es ein zentrales Problem, dass aufgrund des aktuellen Aus-länderrechts Migrant*innen nach wie vor in einer Abhängigkeit von gewaltausüben-den Partner*innen stehen können. Sie erhoffen sich eine Besserung durch Art. 59 der Istanbul-Konvention, obwohl die Schweiz diesbezüglich einen Vorbehalt einge-bracht hat. Frau Maire betont die Unsinnigkeit der Unterschiede aufgrund der Auf-enthaltsbewilligung und bedauert, dass der Bundesrat die Gelegenheit für eine Ge-setzesanpassung nicht genutzt hat. Trotzdem ist der Vorbehalt nicht für immer halt-bar und die Istanbul-Konvention wird hier ein wichtiges Instrument sein, um eine Ge-setzesanpassung zu bewirken. 

Simone Eggler sprach von Seiten des zivilgesellschaftlichen Netzwerkes zur Is-tanbul-Konvention sowie von TERRE DES FEMMES Schweiz. Das zivilgesell-schaftliche Netzwerk befindet sich noch im Aufbau und setzt sich aktuell aus rund 30 interessierten NGOs zusammen. Ende Mai findet ein Vernetzungstreffen statt. Die wichtigsten Informationen dazu finden sich auf der Website istanbulkonvention.ch. Aus Sicht von TERRE DES FEMMES Schweiz ist es zentral, die Konvention als In-strument gegen Gewalt und für die ganze Gleichstellungsarbeit zu nutzen, wobei es auf staatlicher Ebene so scheint, als wäre es vor allem ein Instrument zur Bekämp-fung von häuslicher Gewalt. Frau Eggler betont insbesondere die Wichtigkeit von Art. 4 der Istanbul Konvention, wonach die Konvention ohne Diskriminierung umgesetzt werden soll.

Workshops

Um 15.30 Uhr teilten sich die Teilnehmer*innen in vier Gruppen auf und diskutierten zusammen Fragen und Anliegen rund um die Istanbul Konvention. Anschliessend trafen sich alle im Plenum und die Diskussionsergebnisse wurden vorgestellt:

Gruppe 1 befand die Opferhilfelücke für Personen, die Gewalt im Ausland erfahren haben, besonders stossend. Sie waren sich ausserdem einig, dass ein Schulungs-bedarf bei Angestellten der Opferhilfestelle bestehe in Bezug auf einen intersektiona-len, opferspezifischen, transnationalen und stereotypfreien Ansatz. Ebenso kamen sie zum Schluss, dass die Opferhilfeleistungen in den verschiedenen Kantonen sehr unterschiedlich ausfalle und dies einer Harmonisierung bedürfte. Sie diskutierten auch die Wichtigkeit einer diskriminierungsfreien Umsetzung der Istanbul-Konvention, insbesondere für trans Menschen.

Gruppe 2 kam zum Schluss, dass die NGOs ihre Themen und Forderungen bündeln müssen und eine themenorientierte Zusammenarbeit angestrebt werden sollte. NGOs, die ähnliche Themengebiete bearbeiten, sollten sich kurzschliessen und Wis-sen und Erfahrung austauschen, bspw. in Bezug auf Bildung, Gewalt gegen Frauen im Asylbereich etc. Ev. bedürfe es einer gemeinsamen Definition des Gewaltbegriffs. 

Gruppe 3 hat sich zu Art. 24 der Istanbul-Konvention ausgetauscht, wobei es um Telefonberatungen geht, ev. wäre eine nationale Hotline denkbar. Ebenso finden sie wichtig, dass die Prävention für Opfer wie für Täter*innen ausgebaut wird und Ju-gendliche durch Bildung, idealerweise bereits in der Schule sensibilisiert würden. Sie kamen auch zum Schluss, dass Berufspersonen im juristischen und sozialen Bereich besser informiert sein müssen. 

Gruppe 4 diskutierte, dass es für betroffene Frauen* von Gewalt nicht genügend Schutzmassnahmen gibt. Sie befanden auch die Schulung von Personen, die durch ihre Berufe mit Betroffenen in Kontakt kommen könnten, zentral. Sie sehen eine Ge-fahr dafür, dass die Istanbul-Konvention toter Buchstabe bleiben könnte und finden deshalb Lobbying sehr wichtig. 

Nach einer letzten Fragerunde an die Gruppen und die Referentinnen, ging die Ta-gung gegen 17.00 Uhr zu Ende. 

Tamara Stalder, Praktikantin bei TERRE DES FEMMES Schweiz

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